Tag: 28. November 2021

Ian Nepomniachtchis Weg zur WM – Kandidatenturnier Runde 14

Foto: Lennart Ootes

14. Runde des Kandidatenturniers 2020 / 2021

Wir schließen unsere Blogserie zum aktuellen Herausforderer auf den Weltmeisterschaftstitel im Schach 2021 – Ian Nepomniachtchi – mit der letzten Runde des Kandidatenturniers ab.

Nepo hatte in der vorherigen Runde gegen Maxime Vachier-Lagrave (MVL) nur Remis gespielt, während Fabiano Caruana, Ding Liren und Alexander Grischuk jeweils einen vollen Punkt holen konnten. Großer Verlierer des 13. Spieltages war somit Anish Giri, der es damit verpasste, den Rückstand auf Nepo in seinem Spiel gegen Alexander Grischuk aufzuholen.

Durch Grischuks Sieg stand nun Nepo bereits einen Spieltag vor Schluss als neuer Herausforderer von Magnus Carlsen fest! Anish Giri lag zwar nur einen Punkt hinter Nepo und hatte noch theoretische Chancen auf den Gesamtsieg, doch hatte er das direkte Duell gegen den Russen verloren. Selbst bei einem Gewinn von Anish im letzten Spiel und einer Niederlage von Ian wäre Nepo der Turniersieg damit nicht mehr zu nehmen gewesen. Schauen wir uns also an, was Ian Nepomniachtchi in seiner letzten Partie gegen Ding Liren mit Schwarz vorbereitet hatte.

Ding Liren – Ian Nepomniachtchi

Ding Liren eröffnete mit 1. d4, worauf Ian abwartend mit der „Indischen Verteidigung, Anti-Grünfeld“ antwortete. Indisch wurden Eröffnungen genannt, welche nicht gleich das Zentrum im Blick haben, sondern dem Gegner erst einige Züge Vorsprung gewähren, um dann das Zentrum anzugreifen.

Ding Liren hatte mit 6. Ld3 einen seltenen Entwicklungszug gespielt, der durchaus logisch erscheint und das erste Mal im Januar 2020 in einer Meisterpartie gespielt wurde. In der Diagrammstellung wenige Züge später schlägt Ian das erste Mal im Zentrum mit 7. ...exd5 8. cxd5 zu und spielte fortan mit einem besseren Zugriff auf das Zentrum.


Stellung nach dem 7. Zug von Weiß

 

Die Entwicklung ging weiter mit 8. …Sbd7 9. Sec3 (wir sehen die Eröffnung enthält viele strategische Manöver) a6 10. a4 Sh5 11. 0-0 Ld4+ 12. Kh1 Se5 13. Se2 Dh4 und wieder hat Nepo es geschafft, mit Schwarz einen starken Angriff aufzubauen! Noch ist natürlich nichts entschieden, aber die Initiative, also die Möglichkeit zum Angriff, lag in dieser Phase der Partie wohl eher bei ihm.


Stellung nach dem 13. Zug von Schwarz

 

Mögliche Züge für Ding Liren sind nun 14. Ta3 (bringt den Turm ins Spiel auf die umkämpfte 3. Reihe), der Rückzug Lc2 und das Schlagen des starken Läufers auf d4. Ding entscheidet sich für Letzteres und gibt damit nach

14. Sxd4 Sxd3 15. Dxd3 Sg3+! 16. Kg1 Sxf1

die Qualität an Schwarz ab. Der Computer empfiehlt statt 14. … Sxd3 wie in der Partie, mit 14. …cxd4 das materielle Gleichgewicht zu belassen und erst später den weißen König zu attackieren.

So hat Ian zwar nach 17. Sc2 Sxh2 18. De3 mehr Material, muss nun aber aufpassen seinen Angriff und die Entwicklung gleichzeitig aufrecht zu erhalten. Mit 18. …0-0 erreichte er das Ziel nicht! Besser wäre g5! oder f5 gewesen, doch auch diese Züge reichten nicht ganz, um einen starken Angriff aufzubauen – und sie schwächen natürlich seine eigene Königsstellung!

Jetzt konnte Ding Liren die Damen abtauschen. Es folgten 19. Dg5 Sxf3+ 20. gxf3 Dh3 21. Lf4 Dxf3 22. Sd2 f6


Stellung nach dem 22. Zug von Schwarz

Nach  23. Dxg6 hxg6 24. Sxf3 Lg4 gewann Nepo zwar nebenbei noch alle drei Bauern vor dem gegnerischen König – die Initiative war aber mittlerweile deutlich bei Weiß, der mit d6 ein willkommenes Angriffsziel hatte.


Stellung nach dem 27. Zug von Schwarz

Wenig später gelang es Ding Liren mit 28. Lxd6 schließlich, den Bauern zu schlagen und er behielt mit den zwei Leichtfiguren gegen Nepos nicht entwickelten Turm leichtes Spiel!

Weiter ging es mit 28. …Tfe8 29. Sxd3 cxd3 30. Lc7 Kf7 31. Ta3! Tac8 (Schwarz ist erst jetzt voll entwickelt) 32. d6! Ke6 33. Txd3 und bereits hier war leicht zu erkennen, dass  Jan wohl an diesem Tag nicht punkten würde.


Stellung nach dem 33. Zug von Weiß

Früher oder später musste Nepo einen Turm für den hervorragend platzierten Läufer auf c7 opfern, wonach sein Materialrückstand jedoch nur noch größer werden würde. Die Partie endete mit 33. …Kd7?! (Th8) 34. Sc4 – droht die Gabel auf b6 oder den Vorstoß Bauer nach d7. Nepo schlug daher mit 34 …Txc7 den Läufer, gab sich jedoch nach 35. Sb6+ geschlagen.

Die Niederlage in der letzten Runde des Kandidatenturniers wird Nepo nicht allzu sehr geschmerzt haben, war ihm doch der Turniersieg nicht mehr zu nehmen! Zudem bekam er auch noch Schützenhilfe von Kirill Alekseenko, der zeitgleich seine letzte Partie gegen Anish Giri, den einzigen chancenreichen Verfolger von Nepo, überraschend gewinnen konnte.

Ian Nepomniachtchi gewann somit das lange Kandidatenturnier 2020 / 2021 und durfte sich fortan auf den Weltmeisterschaftskampf im November 2021 gegen den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen in Dubai vorbereiten!

Beide Spieler kennen sich aus vielen Turnieren seit ihrer Kindheit – und Nepo ist der einzige Top-Spieler mit einer positiven Bilanz im klassischen Langschach gegen den amtierenden Weltmeister! Es erwartet uns also ein interessanter und spannender Kampf in bis zu 14 Langschachpartien, wofür wir beiden Spielern viel Glück wünschen!

 

 

Ian Nepomniachtchis Weg zur WM – Kandidatenturnier Runde 12

Foto: Lennart Ootes

Wang Hao – Ian Nepomniachtchi

Nach einem Remis aus der elften Runde führte Nepo weiterhin das Turnier an. Er wurde nun mit einem Punkt Rückstand von Anish Giri verfolgt, der in dieser Runde das „schwere Los“ hatte, mit den schwarzen Figuren gegen Fabiano Caruana zu spielen.
Ian Nepomniachtchi hingegen spielte in Runde zwölf gegen Wang Hao, das Rückspiel aus Runde fünf, diesmal jedoch mit Schwarz.

Wang Hao eröffnete mit 1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 und Ian spielte die eher selten gespielte russische Verteidigung. Bereits im neunten Zug wurden die Damen abgetauscht, und Nepo gab sein Rochade-Recht auf.


Stellung nach dem 8. Zug von Schwarz

Die Stellung in obiger Abbildung gab es bereits 122 mal in Meisterpartien – die Partien gingen zu 26% (5%) an Weiß (Schwarz). Nepo musste demnach später sehr korrekt spielen, um mit einem vollen Punkt aus der Partie zu gehen.

Nach einigen Entwicklungszügen die ihr gerne auf Lichess nachspielen könnt, gab Ian seinen weißfeldrigen Läufer auf f5 ab, zog den Turm von h8 nach e8 und stellte seinen König auf f8 in Sicherheit. Ab diesem Zeitpunkt spielte er gegen das Läuferpaar – hatte ansonsten aber die Eröffnung recht gut überstanden.

Stellung nach dem 14. Zug von Schwarz

Nach dem 24. Zug hatte Nepo zwei Bauernketten auf den weißen Feldern errichtet, so dass der weiße Läufer sehr eingeschränkt wirkte, während sein schwarzer Läufer mit voller Beweglichkeit über das Brett kommt. Der Computer gibt hier zum ersten Mal Schwarz einen kleinen Vorteil in der Partie, ist aber noch weit von einer Entscheidung entfernt.


Stellung nach dem 24. Zug von Schwarz 

Es folgten 25. Te1 Se6 26. Le3 Tac8 27. Ld2 c5 und wir sehen dass Schwarz langsam die Kontrolle über mehr und mehr Felder erhält. Wang Hao machte nicht den Eindruck, dass er auf Gewinn spielen würde. Nach 28. dxc5 Lxc5+ 29. Kg2 zog Nepo seinen Läufer ein Feld auf 29 … Lb6 zurück, um den Druck auf c3 mit seinem Turm aufrecht zu erhalten und den Läufer aus der Mitte zu nehmen.

Wenige präzise Manöver später hatte Nepo im 34. Zug den Druck auf c3 erhöht und war bereit, den b7 Bauern zu abzugeben. Dabei entsteht ein entfernter weißer Freibauer auf a4 sowie ein schwarzer Freibauer für ihn auf d5. 34. Txb7 Sd6!?.

Hier wäre die Deckung des weißen c3-Bauern mit dem Turm von b3 aus nicht gut (35 Tc3?), da Schwarz dann 35. …d4 spielen könnte und nach 36. cxd4 mit 36. …Tc2! eine Fesselung des Läufers auf c3 erreicht, die mit einem Figurengewinn für Schwarz endet.
Wang Hao spielte 35. Ta7 und fand nach Lxc3 den Zug 36. Ld7, womit er seinen passiven Läufer abtauschen konnte.

Auf 36. …Sxd7 folgte 37. Lxc3+ Txc3 38. Txd7

Stellung nach dem 38. Zug von Weiß

Mit den beiden Freibauern und einer unterschiedlichen Aufstellung am Königsflügel war eine Spannung in der Stellung entstanden, die es Schwarz etwas angenehmer machte,  mit dem Turm gegen den König zu spielen. Noch reichte es aber nicht für den Sieg. Nepos Plan zeigte sich in den nächsten Zügen

38. …Tc6 39. Te7?! (Kf2 ist besser) Tc2+ und nach 40. Kg1 d4 spielte es sich für Schwarz gegen den passiven weißen König deutlich leichter!

Nach fünfzehn weiteren Zügen – in denen Schwarz immer die Initiative behält – erreichten die beiden Spieler die folgende Stellung:


Stellung nach dem 55. Zug von Weiß

Der weiße König ist inzwischen fast Matt, die Freibauern sind abgetauscht und der schwarze König weiterhin sicher. In dieser Stellung gibt es tatsächlich nur einen Zug, der Weiß für eine Weile rettet! Die schwarze Drohung ist, den Springer über d1/d3 nach f2 zu bringen, aber Wang Hao wehrte dies korrekt mit 56. Td8! ab, womit er dem schwarzen Springer den Zugang zur d-Linie verwehrte.

Nach 56. … Tf2 von Nepo ist nun aber der f3 Bauer nicht zu halten:

57. Kg1 Txf3 58. Se4 Te3 59. Sg3?! und der Druck auf die weiße Stellung bleibt.
In den kommenden Zügen wäre der g-Bauer nicht mehr zu halten gewesen Nach 59. ..Ta3 gab Wang Hao das Spiel auf.
Endstellung nach 59. … Ta3
Ian Nepomniachtchi erzielte somit einen weiteren ganzen Punkt. Zwei Runden vor Ende des Turniers hatten nun nur noch er und Anish Giri Chancen auf den Gesamtsieg. Letzterer konnte mit seinem Schwarzsieg gegen Fabiano Caruana einen Verfolger entscheidend distanzieren, sodass nun auch klar war, dass Magnus Carlsen im aktuellen WM-Match gegen einen neuen Herausforderer antreten würde!
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